Wel­chen Bei­trag Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz für eine nach­hal­ti­ge­re Welt liefert

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Nach­hal­tig­keit ist ein heh­res Ziel, das umfas­sen­de Ände­run­gen in allen Lebens­be­rei­chen benö­tigt. Die­sem Ziel steht heu­te ins­be­son­de­re der enor­me Bedarf an Roh­stof­fen einer immer wei­ter­wach­sen­den Gesamt­be­völ­ke­rung im Weg. Wie die zukünf­ti­ge Ent­wick­lung dahin­ge­hend aus­sieht und wel­che Plä­ne für eine effi­zi­en­te­re Res­sour­cen­nut­zung es bereits gibt, erläu­tert Prof. Dr. Mario Schmidt vom Insti­tut für Indus­tri­al Eco­lo­gy (INEC) der Hoch­schu­le Pforz­heim in die­sem Beitrag.

Migra­ti­on, Kli­ma­schutz, Coro­na-Pan­de­mie – an Pro­ble­men, wel­che die Welt der­zeit bewäl­ti­gen muss, man­gelt es wahr­lich nicht. Alles hängt auch ein biss­chen mit dem Mega­the­ma Nach­hal­tig­keit zusam­men. Die­ses wur­de, zumin­dest offi­zi­ell, im Jahr 1992 auf dem Umwelt­gip­fel in Rio de Janei­ro aus der Tau­fe geho­ben. 2015 haben die Ver­ein­ten Natio­nen eine Agen­da mit 17 Ziel­be­rei­chen auf­ge­stellt, die unter den Begriff „Nach­hal­tig­keit“ fal­len. Seit­dem reicht es nicht mehr, schnell mal zu behaup­ten, die­ses Pro­dukt oder jene Hand­lung sei nach­hal­tig. Der Begriff und das Kon­zept dahin­ter ist aus­ge­feilt und spielt eine gro­ße Bedeu­tung für die zukünf­ti­ge Ent­wick­lung der mensch­li­chen Zivi­li­sa­ti­on. Nach­hal­tig­keit ist qua­si der Weih­nachts­wunsch­zet­tel der Mensch­heit: kei­ne Armut, kein Hun­ger, Zugang zu Was­ser und sani­tä­ren Ein­rich­tun­gen, Gesund­heits­ver­sor­gung, sau­be­re Umwelt, kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung, Teil­ha­be und so weiter.

Schnell wird deut­lich, wo die Bezü­ge der Nach­hal­tig­keit zu den heu­ti­gen Pro­ble­men lie­gen, ins­be­son­de­re beim vom Men­schen gemach­ten Kli­ma­wan­del: Das Ver­bren­nen fos­si­ler Brenn­stof­fe ist nicht nach­hal­tig und zieht rie­si­ge Pro­ble­me nach sich – auch die Migra­ti­on, die unter ande­rem durch Umwelt­ka­ta­stro­phen und Dür­ren infol­ge des Kli­ma­wan­dels und natür­lich durch Armut aus­ge­löst wird. Selbst das Aus­maß der Coro­na-Pan­de­mie ist Fol­ge einer immer grö­ßer wer­den­den Mensch­heit mit dem Sied­lungs­druck auf Natur­räu­me und den zuneh­men­den Berüh­run­gen zwi­schen Natur und Mensch, die ein Über­sprin­gen von Viren aus der Tier­welt wahr­schein­li­cher machen.

So umfas­send der heu­ti­ge Nach­hal­tig­keits­be­griff ist, so schwie­rig ist die Lösung. Vie­le Fach­leu­te mei­nen sogar, Nach­hal­tig­keit als Ide­al­zu­stand gäbe es prak­tisch nie, man kön­ne nur „nach­hal­tiger“ wer­den. Vie­le Zie­le ste­hen zudem im Kon­flikt mit­ein­an­der. Für man­che Län­der ist bei­spiels­wei­se die Besei­ti­gung der Armut und des Hun­gers prio­ri­tär, wäh­rend Kli­ma­schutz als ver­meint­li­cher Luxus oder gar als post­ko­lo­nia­ler Über­griff gese­hen wird. Die Indus­trie­län­der leben dage­gen in einem fast schon obs­zö­nen mate­ri­el­len Reich­tum, zumin­dest im welt­wei­ten Ver­gleich. Die Sor­ge um Umwelt und Welt­kli­ma kann man sich in die­sen Län­dern leis­ten, genau­so wie Ver­zicht auf so man­chen Luxus­ge­gen­stand. Das Beson­de­re am Nach­hal­tig­keits­an­satz ist aber, dass die sozia­len, öko­no­mi­schen und vor allem öko­lo­gi­schen Pro­ble­me gemein­sam gelöst wer­den müs­sen – und global.

Am Bei­spiel der Roh­stof­fe lässt sich die­se Ent­wick­lung beson­ders gut auf­zei­gen. Seit 1970 ist der Mate­ri­al­be­darf der Mensch­heit um das Drei­ein­halb­fa­che gestie­gen, die Welt­be­völ­ke­rung hin­ge­gen hat sich „nur“ ver­dop­pelt. Pro Per­son wer­den heu­te im Durch­schnitt über zwölf Ton­nen Mate­ri­al pro Jahr benö­tigt: Bau­ma­te­ria­li­en, Bio­mas­se, Metal­le und fos­si­le Ener­gie­trä­ger. In Deutsch­land sind es sogar 23 Ton­nen. Bis 2060, schätzt die Umwelt­or­ga­ni­sa­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen, wird sich der gesam­te Mate­ri­al­be­darf der Mensch­heit noch mal auf fast 200 Mil­li­ar­den Ton­nen jähr­lich ver­dop­peln, pro Per­son wären es dann im welt­wei­ten Durch­schnitt 18 Ton­nen pro Kopf. Selbst unter opti­mis­ti­schen Bedin­gun­gen – die Sze­na­ri­en spre­chen von „Towards Sus­taina­bi­li­ty“ – wird der Bedarf stei­gen, der Wert läge dann bei 14 Ton­nen pro Per­son und Jahr. Neben dem Bevöl­ke­rungs­wachs­tum ist eine wei­te­re Ursa­che die Ver­rin­ge­rung der Armut – was eben auch ein UN-Nach­hal­tig­keits­ziel ist. Denn nur eine Mil­li­ar­de Men­schen leben heu­te in Wohl­stand, wie wir ihn ken­nen, eine wei­te­re Mil­li­ar­de in bit­te­rer Armut und die rest­li­chen sechs Mil­li­ar­den in ver­gleichs­wei­se beschei­de­nen Ver­hält­nis­sen. Der welt­wei­te Bedarf an Wohn­raum, Ener­gie, Infra­struk­tur, Mobi­li­tät und einem gewis­sen mate­ri­el­len Wohl­stand ist groß, und für all das benö­tigt man wei­te­re Roh­stof­fe. Die kann man ent­we­der durch Recy­cling wie­der­ge­win­nen oder man kann effi­zi­ent und scho­nend damit umge­hen, aber ins­ge­samt steigt der Bedarf kon­ti­nu­ier­lich, und recy­celt wer­den kann nur, was schon da ist. Des­halb wird die Gewin­nung von Roh­stof­fen aus Berg­wer­ken noch lan­ge Zeit erfor­der­lich sein, ver­bun­den mit Ein­grif­fen in die Natur und mit Umweltbelastungen.

Schät­zun­gen besa­gen, dass etwa die Hälf­te der men­schen­ge­mach­ten Treib­haus­gas­emis­sio­nen, die für den der­zei­ti­gen Kli­ma­wan­del ver­ant­wort­lich gemacht wer­den, allein durch die Gewin­nung und Bereit­stel­lung von Roh­stof­fen ver­ur­sacht wer­den. Allein die Metall­pro­duk­ti­on trägt zehn Pro­zent zu den glo­ba­len Kli­ma­ga­sen bei. Jeder spar­sa­me Umgang mit Mate­ria­li­en und Roh­stof­fen ist des­halb auch ein Bei­trag zum Kli­ma­schutz, von den Aus­wir­kun­gen auf den Was­ser­haus­halt, die Bio­di­ver­si­tät und ande­ren Umwelt­aspek­ten ganz zu schweigen.

Das Stich­wort hier­zu ist Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz, und auf inter­na­tio­na­ler wie auf natio­na­ler Ebe­ne wer­den dies­be­züg­lich seit eini­gen Jah­ren die Akti­vi­tä­ten for­ciert. Die Bund­e­re­gie­rung hat jüngst ihr drit­tes Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz­pro­gramm ver­ab­schie­det. Unter­neh­men könn­ten res­sour­cen­scho­nen­der pro­du­zie­ren und Rest­stof­fe ver­mei­den, Pro­duk­te könn­ten mate­ri­al­spa­ren­der sein, das Recy­cling könn­te gestei­gert wer­den oder Kon­sum­ge­wohn­hei­ten könn­ten geän­dert wer­den. In Baden-Würt­tem­berg wur­de das gro­ße Pilot­pro­jekt „100 Betrie­be für Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz“ bei Unter­neh­men durch­ge­führt, mit vie­len Bei­spie­len, wie Mate­ri­al und damit auch Treib­haus­gas­emis­sio­nen ein­ge­spart wer­den können.

Die ver­steck­ten Emis­sio­nen des Mate­ri­al­ein­sat­zes spie­len auch bei den Kli­ma­bi­lan­zen der Unter­neh­men eine zuneh­mend wich­ti­ge Rol­le. Kon­zen­trier­ten sich Betrie­be in der Ver­gan­gen­heit dar­auf, ihre eige­nen CO2-Emis­sio­nen zu ver­rin­gern und Strom aus erneu­er­ba­ren Ener­gien ein­zu­kau­fen, muss man heu­te auch die Kli­ma­ruck­sä­cke der ein­ge­kauf­ten und impor­tier­ten Vor­pro­duk­te und Roh­stof­fe berück­sich­ti­gen. Die von vie­len Unter­neh­men aus­ge­ru­fe­ne Kli­ma­neu­tra­li­tät ihrer Pro­duk­ti­on ist des­halb oft eine Mogel­pa­ckung, die kri­tisch hin­ter­fragt wer­den sollte.

Wie fin­det man sich in die­ser kom­ple­xen Welt, in der alles mit­ein­an­der ver­bun­den ist, noch zurecht? Wie kann man Unter­neh­men, Hand­lun­gen oder Pro­duk­te nach ver­läss­li­chen Fak­to­ren öko­lo­gisch bewer­ten? Die Umwelt­wis­sen­schaf­ten haben dazu in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten Metho­den ent­wi­ckelt, mit denen das mög­lich ist. Öko­bi­lan­zen, eng­lisch: Life Cycle Assess­ments (LCA), sind ein Bei­spiel dafür. Mit ihnen kann man die Umwelt­be­las­tun­gen eines Pro­duk­tes umfas­send bewer­ten, über den gesam­ten „Lebens­weg“ des Produktes.

Aber die wis­sen­schaft­li­chen Metho­den kön­nen das Han­deln von Poli­tik, Wirt­schaft und Gesell­schaft nicht erset­zen. Sie zei­gen nur Ent­wick­lun­gen auf und hel­fen dabei, Ent­schei­dun­gen zu bewer­ten. Was bis­lang fehlt, sind genau die­se Ent­schei­dun­gen – auf staat­li­cher Ebe­ne, aber auch bei jedem Unter­neh­men und bei jedem ein­zel­nen von uns.

Prof. Dr. Mario Schmidt ist Phy­si­ker und Umwelt­wis­sen­schaft­ler und hat in der For­schung und Minis­te­ri­al­ver­wal­tung gear­bei­tet. Heu­te lei­tet er das Insti­tut für Indus­tri­al Eco­lo­gy und berät Regie­run­gen und Unter­neh­men. An der Hoch­schu­le Pforz­heim hat er Stu­di­en­gän­ge zu Res­sour­cen­ef­fi­zi­enz, zu Life Cycle & Sus­taina­bi­li­ty und ein Pro­mo­ti­ons­kol­leg gegründet.

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