Nach­hal­ti­ge Abfall­wirt­schaft – auch im Müll fin­det sich Nützliches

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Die Abfall­ent­sor­gung ist ein zen­tra­ler Punkt bei der Schaf­fung einer nach­hal­ti­gen Welt. Doch scheint die The­ma­tik in der öffent­li­chen Dis­kus­si­on eine sehr gerin­ge Rol­le zu spie­len – wenn man es mit denen zu rege­ne­ra­ti­ven Ener­gien und der Digi­ta­li­sie­rung ver­gleicht. War­um auch die Abfall­wirt­schaft ein span­nen­des The­ma sein kann und Tech­no­lo­gie­ent­wick­lun­gen bei dem Wan­del zu einer nach­hal­ti­ge­ren Welt hilf­reich sein kön­nen, erklärt Dr. Hen­ning Frie­ge von der N³ Nach­hal­tig­keits­be­ra­tung Dr. Frie­ge & Part­ner.

 

Die Abfall­wirt­schaft steht am Ende des Pro­dukt­le­bens. Abfäl­le sind Güter mit meist nega­ti­vem Preis, daher beschäf­ti­gen sich die meis­ten Men­schen ungern mit Abfäl­len, solan­ge deren Ent­sor­gung gesi­chert ist. Streikt die Müll­ab­fuhr, feh­len Ent­sor­gungs­ka­pa­zi­tä­ten, schwim­men Plas­tik­ab­fäl­le in den Ozea­nen – dann inter­es­siert es plötz­lich jeden. Neben ihrer gro­ßen hygie­ni­schen Bedeu­tung trägt die Abfall­wirt­schaft in Deutsch­land und Euro­pa zuneh­mend zur Ein­spa­rung von Res­sour­cen und Ener­gie bei. So ist ein erheb­li­cher Teil der ver­rin­ger­ten Emis­si­on von Treib­haus­ga­sen aus Deutsch­land auf die Schlie­ßung der Depo­nien für orga­ni­sche Abfäl­le und die stoff­li­che und ener­ge­ti­sche Ver­wer­tung von Abfäl­len zurück zu füh­ren: Wur­den 1992 über die Abfall­wirt­schaft noch 40 Mil­lio­nen Ton­nen CO2-Äqui­va­len­te (gewich­te­te Sum­me aus Koh­len­di­oxid, Methan, Lach­gas) frei­ge­setzt, waren es 2015 nur noch elf Mil­lio­nen Ton­nen (Umwelt­bun­des­amt). Die Abfall­ver­wer­tung selbst hat längst eine posi­ti­ve Klimabilanz.

 

Nach­hal­ti­ge Abfall­wirt­schaft kann und muss aber viel mehr leis­ten: Gera­de metal­li­sche Res­sour­cen kön­nen nur mit einem immer höhe­ren Ener­gie­auf­wand aus Lager­stät­ten gewon­nen wer­den. Eini­ge gera­de für die Erzeu­gung von Strom aus erneu­er­ba­ren Ener­gie­trä­gern benö­tig­te Mine­ra­li­en sind äußerst sel­ten – die Ver­sor­gung Euro­pas aus Quel­len unter ande­rem in Chi­na oder Zen­tral­afri­ka ist nicht gesi­chert. In den für Elek­tro­mo­bi­li­tät benö­tig­ten Bat­te­rien fin­den sich Lithi­um und Cobalt – Ver­sor­gungs­la­ge mit­tel­fris­tig kri­tisch. Euro­pa kann sol­che Metal­le am bes­ten über die Ver­wer­tung von Abfäl­len wie­der ver­füg­bar machen:

 

– Dies ver­rin­gert die Abhän­gig­keit von Berg­wer­ken, die unter Umstän­den in Kri­sen­ge­bie­ten liegen.

 

– Dies führt zu einer hohen Ein­spa­rung von Treib­haus­ga­sen, weil das Recy­cling viel weni­ger Ener­gie in Anspruch nimmt als die Her­stel­lung der Primärrohstoffe.

 

Aber dafür müs­sen die Vor­aus­set­zun­gen stim­men, und an denen arbei­ten Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Abfall­wirt­schaft, aber auch in der Metall­ur­gie, den Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten, Pro­dukt­de­si­gner und natür­lich auch Fach­leu­te in den Behör­den. Dazu brau­chen wir auch erheb­li­che Unter­stüt­zung aus der Poli­tik. Eini­ge wich­ti­ge Rahmenbedingungen:

 

– Wir brau­chen neue und bes­se­re Auf­be­rei­tungs­me­tho­den für Abfäl­le, gera­de für Kunst­stoff­er­zeug­nis­se oder tech­nisch hoch­kom­ple­xe Mas­sen­pro­duk­te wie Mobil­te­le­fo­ne. LED-Leuch­ten usw.

 

– Dazu gehört in Zukunft eine Ver­folg­bar­keit von Pro­duk­ten über ihren „Lebens­weg“. Sen­sor­tech­nik gekop­pelt mit Big Data und Dis­tri­bu­ted Led­ger Tech­no­lo­gy lie­fern dazu die Schlüssel.

 

– Auch mit den bes­ten Auf­be­rei­tungs­an­la­gen kann man kei­ne wil­den Gemi­sche von Abfäl­len zu Roh­stof­fen ver­ar­bei­ten. Es muss also von den Ver­brau­chern sau­ber getrennt wer­den. Und das funk­tio­niert – ent­ge­gen allen Beteue­run­gen – noch gar nicht gut! In der „gel­ben Ton­ne“ fin­den sich cir­ca 30 Pro­zent „Fehl­wür­fe“ (weit­ge­hend Rest­ab­fäl­le), im Bio­müll wer­den bis zu 15 Pro­zent Plas­tik­tü­ten, Rest­ab­fall und der­glei­chen gefun­den. Daher sind auch Fach­leu­te aus der Umwelt­kom­mu­ni­ka­ti­on, der Psy­cho­lo­gie und Umwelt­recht­ler gefragt, mit denen wir etwa an der Leu­pha­na zur Lösung sol­cher Pro­ble­me zusammenarbeiten

 

– Für schad­stoff­hal­ti­ge Pro­duk­te, Sor­tier­ab­fäl­le usw. wer­den nach wie vor Müll­heiz­kraft­wer­ke benö­tigt, deren Bedeu­tung für den Grund­last-Strom ange­sichts schwan­ken­der Ein­spei­sung von Wind und Son­ne eher noch zunimmt.

 

– Und um nicht immer vor neu­en Pro­ble­men beim Tren­nen von Pro­duk­ten und der Iden­ti­fi­zie­rung von Mate­ria­li­en zu ste­hen, muss das Design neu­er Pro­duk­te bereits auf das Ende der Gebrauchs­pha­se abge­stimmt wer­den: Design for Recy­cling heißt das Schlag­wort. – die EU arbei­tet an Regelungsansätzen.

 

– Damit las­sen sich neue Geschäfts­mo­del­le auf­bau­en – vie­le Start-ups wie auch eta­blier­te Unter­neh­men arbei­ten schon recht erfolg­reich daran.

 

Alle die­se Aspek­te sind heu­te Bestand­teil zahl­rei­cher For­schungs­vor­ha­ben: Das BMBF för­dert mit dem Rah­men­pro­gramm FONA („For­schung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung“) unter ande­rem das Ver­bund­vor­ha­ben Rezi­ProK mit 25 ein­zel­nen Pro­jek­ten. Ein Blick auf die Pro­jek­te zeigt eine enor­me Viel­falt von Inno­va­tio­nen von der Ver­län­ge­rung von Pro­dukt­lauf­zei­ten über die Ver­net­zung von Recy­clern mit Abfall­erzeu­gern und Ver­fah­ren zur Ver­wer­tung bis­he­ri­ger Abfäl­le bis zu Big Data-Anwen­dun­gen und neu­en Geschäfts­mo­del­len. Als Teil des Trans­fer­pro­jekts Ress­WInn unter­stüt­zen wir die Rezi­ProK-Pro­jek­te unter ande­rem bei Inno­va­ti­ons­trans­fer und Nachhaltigkeitsbetrachtung.

 

Abfall­wirt­schaft und Res­sour­cen­ma­nage­ment gehö­ren daher zusam­men – das klingt ein­fach, ist es aber nicht. Dar­an zu arbei­ten ist eine Her­aus­for­de­rung. Immer­hin: Auch das Inter­es­se der Öffent­lich­keit an die­sen The­men wächst.

nachhaltige abfallwirtschaftDr. rer.nat. habil. Hen­ning Frie­ge grün­de­te 2013 gemein­sam mit zwei Kol­le­gen die N³ Nach­hal­tig­keits­be­ra­tung Dr. Frie­ge & Part­ner. Kun­den sind zahl­rei­che Unter­neh­men und öffent­li­che Ein­rich­tun­gen. Er ist Hono­rar­pro­fes­sor für Nach­hal­tig­keits­wis­sen­schaf­ten an der Leu­pha­na Uni­ver­si­tät Lüne­burg. Sein trans­dis­zi­pli­nä­res Semi­nar „Nach­hal­ti­ge Abfall­wirt­schaft“ erhielt 2018 den Lehr­preis der Uni­ver­si­tät. An der TU Dres­den unter­rich­tet er zu öko­no­mi­schen The­men der Abfall­wirt­schaft. Er war und ist viel­fach ehren­amt­lich tätig, u.a. bei der IHK Nie­der­rhein, beim Arbeits­kreis Umwelt­che­mi­ka­li­en des BUND und der Initia­ti­ve „Zukunft durch Industrie“.

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