Die Nach­hal­tig­keits­trans­for­ma­ti­on der Fleischbranche

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Die fleisch­ver­ar­bei­ten­de Indus­trie, die sich schon immer Umwelt- und Sozi­al­pro­ble­men gegen­über­sieht, ist durch die jüngs­ten Coro­na-Fäl­le bei Tön­nies erneut in die Nega­tiv­schlag­zei­len gera­ten. Aller­dings gibt es auch gute Nach­rich­ten: Die Fleisch­bran­che hat sich auf ver­schie­de­ne Pfa­de einer Nach­hal­tig­keits­trans­for­ma­ti­on bege­ben. Char­lott Hübel und Prof. Ste­fan Schalt­eg­ger vom Cent­re for Sus­taina­bi­li­ty Manage­ment (CSM) der Leu­pha­na Uni­ver­si­tät Lüne­burg stel­len sie euch in die­sem Arti­kel vor.

Der Druck wächst

Nicht erst seit den Coro­na-Aus­brü­chen bei Tön­nies und der damit ein­her­ge­hen­den Debat­te über Arbeits­be­din­gun­gen in Zer­le­ge­be­trie­ben steht die deut­sche Fleisch­bran­che in der öffent­li­chen Kri­tik. Vor­an­ge­gan­ge­ne Skan­da­le im Zusam­men­hang mit Tier­wohl, Hygie­ne und Lebens­mit­tel­si­cher­heit haben den von Poli­tik, Medi­en, Zivil­ge­sell­schaft und Markt aus­ge­hen­den Druck auf die Fleisch­bran­che kon­ti­nu­ier­lich erhöht. Neue Geset­ze für Tier- und Umwelt­schutz, erhöh­ter Umwelt­ak­ti­vis­mus im Rah­men der Fri­days-for-Future-Bewe­gung und ver­än­der­tes Nach­fra­ge­ver­hal­ten zuguns­ten pflan­zen­ba­sier­ter Alter­na­ti­ven ver­an­las­sen immer mehr Akteur:innen der Fleisch­bran­che, ihre Geschäfts­ak­ti­vi­tä­ten in Rich­tung ver­schie­de­ner Nach­hal­tig­keits­zie­le neu aus­zu­rich­ten. Es sind ers­te Anzei­chen einer soge­nann­ten „Nach­hal­tig­keits­trans­for­ma­ti­on“ der Fleisch­bran­che sicht­bar. Dabei han­delt es sich um einen län­ger­fris­ti­gen Wand­lungs­pro­zess von Pro­duk­ti­ons­struk­tu­ren zuguns­ten der gesell­schaft­li­chen, öko­lo­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Zukunfts­fä­hig­keit, der sowohl von inno­va­ti­ven Start-ups in Nach­hal­tig­keits-Nischen als auch von eta­blier­ten Unter­neh­men der Fleisch­bran­che aktiv mit­ge­stal­tet wird. Doch wel­che Trans­for­ma­ti­ons­pfa­de wer­den der­zeit verfolgt?

Drei Pfa­de der Fleischbranchentransformation 

Eine vom Cent­re for Sus­taina­bi­li­ty Manage­ment (CSM) und dem Robert Bosch Kol­leg der Leu­pha­na Uni­ver­si­tät Lüne­burg durch­ge­führ­te Ana­ly­se wis­sen­schaft­li­cher Arti­kel, die Aus­wer­tung von 23 umfas­sen­den Inter­views mit Pra­xis­ak­teu­ren ent­lang der Lie­fer­ket­te für Fleisch sowie Ergeb­nis­se eines Work­shops mit mehr als 50 Akteur:innen aus Fleisch­bran­che, Poli­tik und Wis­sen­schaft offen­ba­ren drei vor­herr­schen­de Pfa­de der Fleisch­bran­chen­trans­for­ma­ti­on: (1) Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung des Wohl­erge­hens von Nutz­tie­ren, (2) Ansät­ze der Umge­stal­tung hin zu Regio­na­li­tät und Bio sowie (3) die Sub­sti­tu­ti­on kon­ven­tio­nel­ler Pro­te­in­trä­ger in Human- und Tier­er­näh­rung durch alter­na­ti­ve, zum Bei­spiel pflan­zen­ba­sier­te, Proteinquellen.

Die Ana­ly­se zeigt, dass in der Ver­gan­gen­heit häu­fig das Tier­wohl im Mit­tel­punkt stand. Akti­vi­tä­ten basie­ren hier­bei sowohl auf Bran­chen­in­itia­ti­ven wie der Initia­ti­ve Tier­wohl und nun auch dem staat­li­chen Tier­wohl­la­bel mit ent­spre­chen­den finan­zi­el­len Anreiz­sys­te­men als auch auf Eigen­in­itia­ti­ven von Landwirt:innen, Viehhändler:innen und Fleischproduzent:innen. Eine groß­flä­chi­ge Umset­zung von Tier­wohl­kon­zep­ten ent­lang der Lie­fer­ket­te für Fleisch wird vor allem dadurch begüns­tigt, dass sich die ent­spre­chen­den Maß­nah­men in eta­blier­te Struk­tu­ren inte­grie­ren las­sen und kei­ne fun­da­men­ta­le Abkehr vom bestehen­den Sys­tem erfor­dern. Radi­ka­le­re Ansät­ze wie die Neu­aus­rich­tung auf bio­lo­gi­sche oder exten­si­ve Frei­land-Tier­hal­tung wer­den bis­lang nur ver­ein­zelt ver­folgt. Alles deu­tet dar­auf hin, dass der zwei­te Pfad zwar ein höhe­res Trans­for­ma­ti­ons­po­ten­ti­al besitzt, bis­her jedoch kaum über eine klei­ne Nische hin­aus­ge­kom­men ist.

In jüngs­ter Ver­gan­gen­heit hat nun der drit­te Trans­for­ma­ti­ons­pfad, zumin­dest im Bereich der Human­ernäh­rung, star­ken Auf­trieb erhal­ten. Spä­tes­tens seit dem rasan­ten Wachs­tum von inno­va­ti­ven Start-ups wie Bey­ond Meat und Impos­si­ble Foods wid­men sich immer mehr Fleisch­pro­du­zen­ten, gro­ße Han­dels­ket­ten und Sys­tem­gas­tro­no­men alter­na­ti­ven Pro­te­in­pro­duk­ten, ins­be­son­de­re pflan­zen­ba­sier­tem Flei­scher­satz. Die Pro­duk­te ver­spre­chen vol­len Fleisch­ge­schmack bei gleich­zei­ti­ger Wah­rung ethi­scher Prin­zi­pi­en wie Tier­wohl und dem Errei­chen öko­lo­gi­scher Zie­le. Durch die Aus­rich­tung auf die neu defi­nier­te Ziel­grup­pe der „Fle­xi­ta­ri­er“ sind die­se Pro­duk­te längst im Main­stream ange­kom­men: Dis­coun­ter füh­ren haus­ei­ge­ne vega­ne Fleisch­pat­ties, das Pro­dukt­sor­ti­ment des Mar­ken­her­stel­lers Rügen­wal­der Müh­le umfasst mehr vege­ta­ri­sche und vega­ne Alter­na­ti­ven als klas­si­sche Fleisch- und Wurst­wa­ren und die PHW-Grup­pe, Deutsch­lands größ­ter Geflü­gel­pro­du­zent, posi­tio­niert sich als Anbie­ter alter­na­ti­ver Pro­te­in­quel­len. Es bleibt abzu­war­ten, wel­che wei­ter­füh­ren­den Aus­wir­kun­gen die bal­di­ge Markt­ein­füh­rung von „Clean Meat“, also im Labor gezüch­te­tes Fleisch, hat. Wenn es dar­um geht, einen fun­da­men­ta­len Nach­hal­tig­keits­wan­del her­bei­zu­füh­ren, so kommt die der­zei­ti­ge rasche und umfas­sen­de Beschrei­tung des drit­ten Trans­for­ma­ti­ons­pfads die­sem Ziel zwei­fels­oh­ne am nächsten.

Wan­del ja, Erset­zung nein
Obwohl ein trans­for­ma­ti­ver Wan­del der Fleisch­bran­che in vol­lem Gan­ge ist, lässt sich eine voll­stän­di­ge Ablö­sung der so domi­nan­ten indus­tri­el­len Fleisch­pro­duk­ti­ons­struk­tu­ren noch nicht beob­ach­ten. Wie wei­te­re For­schungs­er­geb­nis­se zei­gen, ist das auf ver­schie­de­ne von Bran­chen­ak­teu­ren wahr­ge­nom­me­ne Trans­for­ma­ti­ons­bar­rie­ren zurück­zu­füh­ren. Zu ihnen zäh­len unter anderem

– Inter­na­tio­na­li­sie­rung des Fleisch­mark­tes: Der stei­gen­de glo­ba­le Fleisch­kon­sum trägt mit einem wach­sen­den Export von Fleisch­pro­duk­ten zur Auf­recht­erhal­tung der groß­in­dus­tri­el­len Fleisch­pro­duk­ti­on in Deutsch­land bei

– Kom­ple­xi­tät der Lie­fer­ket­te: Der hohe Grad an Spe­zia­li­sie­rung und die Fir­men­kon­zen­tra­ti­on auf ein­zel­nen Stu­fen der Lie­fer­ket­te ver­stärkt Abhän­gig­kei­ten und erschwert die Abwei­chung von ein­ge­schlif­fe­nen Strukturen

– Hohe Inves­ti­ti­ons­kos­ten bei feh­len­der Pla­nungs­si­cher­heit: Spe­zi­fi­sche Inves­ti­tio­nen und hier­durch ver­senk­te Kos­ten in Pro­duk­ti­ons­in­fra­struk­tur und ‑anla­gen sowie damit ver­bun­de­ne lau­fen­de Ver­bind­lich­kei­ten erschwe­ren Umbau­ten und stra­te­gi­sche Neuausrichtungen

– Wider­sprüch­li­che Regu­la­ri­en: Die Dis­kre­panz zwi­schen Tier‑, Umwelt- und Hygie­ne­an­for­de­run­gen ver­hin­dert häu­fig wei­ter­füh­ren­de Tier­wohl­maß­nah­men und exten­si­ve Haltungssysteme

– Man­geln­de Zah­lungs­be­reit­schaft der Ver­brau­cher: Die gerin­ge Nach­fra­ge nach Fleisch mit höhe­ren Hal­tungs­stan­dards hat des­sen Pro­duk­ti­on bis­her finan­zi­ell unat­trak­tiv gemacht

– Kogni­ti­ve und emo­tio­na­le Ver­bun­den­heit mit lang­jäh­ri­gen Prak­ti­ken: Die selbst­ver­stär­ken­de Iden­ti­täts­bil­dung und das Sta­tus-Quo-Den­ken unter Bran­chen­ak­teu­ren füh­ren zu Skep­sis gegen­über Wandel

Die Ana­ly­se zeigt nicht nur, dass Bar­rie­ren sowohl auf struk­tu­rel­ler als auch per­sön­li­cher Ebe­ne vor­zu­fin­den sind, son­dern auch, dass sich vie­le der Trans­for­ma­ti­ons­bar­rie­ren gegen­sei­tig ver­stär­ken. Die­ser Umstand erschwert eine rasche­re und tief­grei­fen­de­re Nachhaltigkeitstransformation.

Der Weg von einer skan­dal­um­wit­ter­ten, indus­tri­el­len Fleisch­bran­che zu einer nach­hal­ti­gen Pro­te­in­bran­che ist also weder bezüg­lich der Trans­for­ma­ti­ons­rich­tung gerad­li­nig noch in Bezug auf die Umset­zung ein­fach. Den­noch hat die Bran­chen­trans­for­ma­ti­on bereits begon­nen. Bei der Viel­falt und Reich­wei­te mög­li­cher Trans­for­ma­ti­ons­rich­tun­gen, ins­be­son­de­re im Bereich der alter­na­ti­ven Pro­te­ine, stellt sich die Fra­ge, inwie­fern die­se letzt­end­lich zu einer Ver­drän­gung der momen­tan vor­herr­schen­den indus­tri­el­len Tier­hal­tung und Fleisch­ver­ar­bei­tung und einer erfolg­rei­chen Umset­zung der kürz­lich pro­phe­zei­ten „Pro­te­in-Revo­lu­ti­on“ füh­ren wer­den. Das Poten­ti­al zumin­dest ist enorm.

Char­lott Hübel ist Dok­to­ran­din im For­schungs­pro­jekt “Pro­ces­ses of Sus­taina­bi­li­ty Trans­for­ma­ti­on” der Robert Bosch Stif­tung und der Leu­pha­na Uni­ver­si­tät Lüne­burg, wel­ches sie mit dem Schwer­punkt “Manage­ment and Entre­pre­neur­ship” am Cent­re for Sus­taina­bi­li­ty Manage­ment (CSM) ver­tritt. Sie forscht zu Ansät­zen des Unter­neh­mer­tums und Manage­ments, durch wel­che sich eta­blier­te Unter­neh­men der Fleisch­bran­che auf Nach­hal­tig­keit aus­rich­ten und zu einer Bran­chen­trans­for­ma­ti­on beitragen.

Prof. Dr. Dr. h.c. Ste­fan Schalt­eg­ger ist Grün­der und Lei­ter des Cent­re for Sus­taina­bi­li­ty Manage­ment (CSM) an der Leu­pha­na Uni­ver­si­tät Lüne­burg und des welt­weit ers­ten MBAs zu Nach­hal­tig­keits­ma­nage­ment (MBA Sus­taina­bi­li­ty Manage­ment). Er forscht zu unter­neh­me­ri­schem Nach­hal­tig­keits­ma­nage­ment, nach­hal­ti­gen Geschäfts­mo­del­len, nach­hal­ti­gem Unter­neh­mer­tum, Mes­sung und Manage­ment von Nach­hal­tig­keits­leis­tung, Manage­ment von Stake­hol­der-Bezie­hun­gen sowie Metho­den der ope­ra­ti­ven Umset­zung unter­neh­me­ri­scher Nachhaltigkeit.

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