Nachhaltigkeit hat nicht immer nur etwas mit umweltfreundlicher Produktion zu tun – es kann auch bedeuten, dass man einen positiven Effekt auf die Gesellschaft durch Unterstützung benachteiligter Gruppen haben. TeachFirst unterstützt und begleitet benachteiligte Jugendliche auf ihrem Bildungsweg und Geschäftsführer Ulf Matysiak hat uns im Interview einen tieferen Einblick in die nachhaltige Arbeit der Organisation gewährt.
Herr Matysiak, hat sich im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussionen, die Verantwortung, die Unternehmen für das Gemeinwohl tragen, verändert?
Ihre Verantwortung hat sich im Vergleich zu früher nicht grundlegend verändert. Zunächst haben Unternehmen eine klassische Verantwortung als guter Arbeitgeber: Sie sollten als Vertragspartner zuverlässig und fair sein und — vereinfacht gesagt — das Wohl ihrer Mitarbeitenden im Blick haben. Darüber hinaus sind Unternehmen Teile einer Stadt, eines Bundeslandes, einer Gesellschaft. Wenn sie durch ihr Schaffen ihr Umfeld immer auch mitgestalten, dann ist es von zentraler Bedeutung, dass sie auch dessen Wohlergehen im Blick haben. Nachhaltigkeit spielt hier natürlich eine wichtige Rolle.
TeachFirst wurde von den von uns befragten Experten zu einer Organisation gewählt, die hilft, die Welt ein Stück besser zu machen. Wie leben Sie Nachhaltigkeit und wir erleben es Ihre Mitarbeiter?
Als gemeinnützige Bildungsorganisation ist Nachhaltigkeit in unserer DNA verankert. Wir setzen uns dafür ein, dass Schülerinnen und Schüler in Deutschland bessere Bildungschancen bekommen – das wirkt sich auf ihr gesamtes Leben aus. Was, den Blick nach innen gerichtet, unsere Arbeitsformen betrifft, so befinden wir uns in einem anhaltenden Lern- und Entwicklungsprozess. Wir achten zum Beispiel stärker auf unser Reiseverhalten und stellen uns die Frage, was wir verbessern können, damit Mitarbeitende lange und mit einem ausgeglichenen Energielevel bei uns bleiben. Da sind wir noch am Anfang einer Lernkurve.
Durch die anhaltenden Diskussionen, auch zu Arbeitsbedingungen, kann sich kaum ein Unternehmen erlauben, sich nicht mit Nachhaltigkeitsfragen zu beschäftigen. Wie sehen Sie die Entwicklung – wie weit ist der Weg noch zu einer Welt, die behutsamer mit dem Leben und den Ressourcen umgeht?
Die Entwicklung geht in die richtige Richtung, aber es geht zu langsam und nicht entschlossen genug voran. Wir müssen uns doch fragen: Welche Welt wollen wir unseren Kindern und Enkeln überlassen – und was braucht es dafür? Meiner Meinung nach müsste es einen deutlichen Paradigmenwechsel geben, besonders im Bereich nachhaltiges Wirtschaften. Unternehmen, die zum Beispiel hohe Emissionen verursachen, sollten dafür auch die Konsequenzen übernehmen. Das würde aber dazu führen, dass viele von ihnen nicht mehr so arbeiten und produzieren können, wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten getan haben.
Unsere Umfrage fragte konkret nach Unternehmen, deren Produkte oder Dienstleistungen Menschen in ihrer Gesundheit, ihrer Bildung oder anderen Lebensbereichen wirksam unterstützen oder die dazu beitragen, dass das Ökosystem entlastet wird. Können Sie unseren Lesern konkrete Beispiele dafür nennen, wie Ihre Organisation dazu beiträgt, dies zu erreichen?
Wir unterstützen und begleiten bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche seit zehn Jahren auf ihrem Bildungsweg. Unsere Fellows arbeiten mit ihnen auf den Schulabschluss hin, zeigen ihnen Perspektiven für den Weg danach – und vor allem stärken sie Schülerinnen und Schüler darin, Verantwortung für sich selbst und ihre Umwelt zu übernehmen. Idealerweise sollte das Bildungssystem bereits so aufgestellt sein, dass alle Heranwachsenden ihr Leben in die eigene Hand nehmen und gesellschaftlich partizipieren können.

Ulf Matysiak ist seit 2011 Geschäftsführer von Teach First Deutschland. Er gehört zum Gründungsteam der Organisation und entwickelte ab 2008 zunächst das pädagogische Konzept des Programms. Vor seinem Wechsel zu Teach First Deutschland arbeitete Ulf Matysiak als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und war zudem für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften verantwortlich. Während seines Pädagogikstudiums war er unter anderem für den Oberbürgermeister und das Jugendamt der Stadt Freiburg tätig.
Haben Sie derzeit Projekte und Pläne mit denen TeachFirst zukünftig einen wertvollen ökologischen, technologischen oder gesellschaftlichen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit und Allgemeinwohl leisten wird?
Ich denke, wir stehen vor einer Veränderung des Bildungssystems. Wir brauchen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit: Wie gehen wir mit Krisen um? Wie erhalten wir die Erde? Wie sichern wir den Wohlstand der Menschen? Dafür braucht es die nächste Generation. Wir müssen junge Menschen darauf vorbereiten, diese Fragen wahrzunehmen und gemeinsam zu bearbeiten.
Für Berufseinsteiger ist die Frage, wie sinnstiftend sie in ihrem Beruf arbeiten können, eine ganz zentrale. Welche Vision von Zukunft können Sie für diejenigen entwerfen, die Sie dabei begleiten möchten?
Die Zeiten, auf die wir zusteuern, werden in vielerlei Hinsicht historisch bedeutsam sein; wir hätten uns vor zehn Jahren nicht vorstellen können, dass wir Rassismus und Antisemitismus derart erstarken sehen, dass wir uns fragen, welche Zukunft die Europäische Union hat und dass gesellschaftliche Bruchstellen weiter unter Druck geraten. Wir brauchen Menschen, die als aktive Teile der Gesellschaft anpacken und diese Fragen angehen. Die Menschen, die ihren Weg zu TFD finden, sind angetrieben von dem Wunsch nach einer sinnstiftenden Arbeit, die gesamtgesellschaftliche Herausforderungen angeht. Sie wollen die dicken Bretter bohren und arbeiten da, wo sie die größten Schwierigkeiten sehen.
Wie wichtig ist es für Sie persönlich, dass Arbeit sinnstiftend sein muss?
Für mich stellt sich hier die Frage: Für wen muss die Arbeit sinnstiftend sein? Für Außenstehende, die mir Zuspruch geben für meine Arbeit? Oder für mich selbst? Ich möchte mich mit meiner Arbeit identifizieren. Das ist wichtig, um Täler auszuhalten — denn die größeren Themen beinhalten längere Durstrecken, in denen es schmerzhafter sein kann, die Sinnfrage zu stellen.
In der Eingrenzung des Themas „Arbeitgeber, die helfen, die Welt besser zu machen“ haben wir den Befragten auch die Unternehmenskultur als ein Instrument genannt, über das die Gesellschaft positiv beeinflusst werden kann. Wie sieht diese bei TeachFirst aus?
Unser Miteinander ist von sehr viel Respekt geprägt und wir orientieren uns an unseren Werten; dazu gehört zum Beispiel “Wir übernehmen Verantwortung für Veränderung”. Gleichzeitig bewegen wir uns auch in einer Phase, in der wir als Unternehmen wachsen – dabei können wir nicht immer partizipativ sein, aber dennoch dafür sorgen, dass sich Mitarbeitende gesehen und gehört fühlen. Uns ist es wichtig, wertschätzend miteinander zu arbeiten.
Was sind Ihre Hoffnungen auf dem Weg in eine nachhaltigere Welt? Wie glauben Sie wird die Welt in zehn Jahren aussehen?
Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren starke, länderübergreifende Organisationen und Netzwerke sehen – wie WHO oder die UNO, die die gefährlichsten Krisen und Nöte bearbeiten und auch die grundsätzlichen Fragen angehen, zum Beispiel, wie wir die Welt als lebenswert erhalten können. Diese Agenda sollte weltweit mitgeschrieben und bearbeitet werden. Ich glaube, dass man bei Corona und der gemeinsamen Suche nach einem Impfstoff sieht, wie so eine Zusammenarbeit aussehen könnte. Das macht Hoffnung und gleichzeitig stellt sich die Frage, wie schnell und entschlossen andere Probleme angegangen werden.