Jeder kennt es, das Logo für fair gehandelte Konsumgüter. Doch was genau steckt dahinter? Dieter Overath ist Geschäftsführer bei Fairtrade Deutschland e.V., der Organisation hinter dem Siegel. Ihr Ziel ist es, die Welt Schritt für Schritt nachhaltiger und gerechter zu machen und den Handel umzukrempeln. Wie genau sie das machen und wie sich Herr Overath unser Zukunft vorstellt, erfahrt ihr im Interview.
Die meisten Unternehmen agieren nicht mehr nur im kleinen Maßstab, sondern sind in globale Wirtschaftskreisläufe eingebunden. Welche Verantwortung für das Gemeinwohl tragen Unternehmen heute, sowohl regional als auch global?
Unternehmensverantwortung geht schon heute weit über ein einwandfreies Produkt hinaus. In einer Welt, in der wir vom nahezu uneingeschränkten Handel mit anderen Ländern profitieren, können wir Verantwortung nicht mehr auf nationale Grenzen oder den eigenen Betrieb beschränken – das machen globale Herausforderungen wie der Klimawandel oder die Corona-Pandemie deutlich.
Während die Industriestaaten die Erderwärmung weiter vorantreiben, leiden Menschen im globalen Süden längst unter den Auswirkungen wie extremer Hitze, Dürreperioden oder Starkregen. Auch die Folgen der Pandemie treffen diese Länder deutlich stärker: Die wenigsten Menschen besitzen finanzielle Rücklagen, soziale Absicherung oder staatliche Hilfen gibt es kaum.
Unternehmen müssen sich in diesen Krisen solidarisch zeigen. Andernfalls hat der Handel, so wie wir ihn kennen, keine Zukunft. Die Pandemie zeigte beide Gesichter. Beispiel Textilien: Es gab Unternehmen, die Aufträge storniert haben, sodass in den Herstellungsländern Beschäftigte auf den Straßen landeten, ohne jeglichen Schutz. Und es gab die Unternehmen, die ihre Verträge weiter erfüllt haben, trotz der schwierigen Lage und sich eingesetzt haben, dass die Beschäftigten und ihre Familien die Krise besser überstehen. Ich bin überzeugt: Gewinnmaximierung auf Kosten von Menschenrechten und Umwelt wird auf Dauer nicht funktionieren, weil Lieferketten, die auf Ausbeutung beruhen, nicht stabil sind. Deshalb wird die Verantwortung weiter steigen müssen.
Fairtrade wurde von den von uns befragten Experten zu den Organisationen gewählt, die helfen, die Welt ein Stück besser zu machen. Welchen Weg sind Sie dafür gegangen?
Der faire Handel strebt danach, globale Lieferketten sozial und ökologisch nachhaltig zu gestalten. Nachhaltiges Wirtschaften ist also unsere DNA. Dass sich Fairtrade so erfolgreich durchsetzen würde, hat vor knapp 30 Jahren allerdings kaum jemand geglaubt. Bei der Gründung Fairtrade Deutschland e. V. unter dem Namen TransFair war ich 1992 als Geschäftsführer der einzige festangestellte Mitarbeiter. Im Handel hat mich damals niemand mit offenen Armen empfangen, ich musste viele Klinken putzen. Aber es hat sich gelohnt: Heute ist Fairtrade das bekannteste Nachhaltigkeitssiegel am Markt. Über 80 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher kennen das grün-blaue Siegel. 2019 lag der Umsatz mit Fairtrade-Produkten bei unglaublichen zwei Milliarden Euro. Wer fair gehandelte Produkte sucht, wird längst nicht nur im Weltladen oder Biomarkt fündig. Selbst große konventionelle Handelsketten und Discounter bieten Fairtrade-Produkte an.
Anscheinend ist das Bewusstsein für nachhaltig gehandelte Produkte inzwischen durchaus vorhanden. Macht das Hoffnung oder ist es noch ein langer Weg bis zu einem wirklich nachhaltigen Welthandel?
Verbraucherinnen und Verbraucher wollen immer häufiger wissen, woher Produkte stammen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Das spüren auch Unternehmen, die zunehmend unter Druck geraten, ihre Produktionsbedingungen offen zu legen. Obwohl das Problembewusstsein wächst, gibt es bisher keine allgemeingültigen Standards zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt. Ob sie ihre Lieferkette nachhaltig gestalten oder nicht, ist jedem Unternehmen selbst überlassen. Wer sich ökologisch und sozial engagiert, muss in der Regel mit höheren Kosten rechnen.
TransFair setzt sich dafür ein, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von benachteiligten Produzentengruppen im globalen Süden mit Hilfe des fairen Handels zu verbessern und ihre Verhandlungsposition zu stärken. Als unabhängige Organisation handelt der Verein nicht selbst mit Waren, sondern vergibt das Fairtrade-Siegel für Produkte, die die Fairtrade-Standards erfüllen.
Fairtrade Deutschland e.V. wurde 1992 gegründet und ist eine NGO für den fairen Handel mit 72 Mitarbeiter:innen und einem Standort in Köln.
Das beschert nachhaltigen Unternehmen oft wirtschaftliche Nachteile gegenüber weniger engagierten Mitbewerbern, die Produkte zu Billigpreisen anbieten. Um den Markt fairer zu gestalten und unsere Ressourcen zu schützen, brauchen wir gezieltere politische Maßnahmen, die Nachhaltigkeit fordern und fördern. Fairtrade begrüßt daher ausdrücklich die Ankündigung der Bundesregierung, ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen zu wollen (Stand des Artikel 2020). Ein solches Gesetz soll alle Unternehmen gleichermaßen zur Einhaltung von ökologischen und sozialen Standards verpflichten. Eine Möglichkeit, gezielt nachhaltigen Konsum zu fördern, wäre beispielsweise die Abschaffung der Kaffeesteuer für fair gehandelten Kaffee. Aktuell zahlen Verbraucherinnen und Verbraucher 2,19 Euro Kaffeesteuer pro Kilogramm Kaffee – und das zusätzlich zur Mehrwertsteuer. Mit einem entsprechenden Steuervorteil ließen sich Anreize für einen fairen und ressourcenschonenden Kaffeekonsum setzen.
Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass Menschen zum einen in ihrer Gesundheit, ihrer Bildung oder anderen Lebensbereichen Unterstützung erfahren und zum anderen das Ökosystem entlastet wird. Was unternimmt Fairtrade konkret in dieser Hinsicht?
Mittlerweile profitieren gut 1,7 Millionen Menschen in 75 Ländern von Fairtrade. Beschäftigte auf Fairtrade-Plantagen erhalten soziale Absicherungen wie Arbeitsverträge, Mutterschutz oder Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Kleinbäuerinnen und ‑bauern bekommen feste Mindestpreise für ihre Produkte, die unabhängig vom Weltmarktpreis gezahlt werden und die Kosten einer nachhaltigen Produktion decken. Für alle Fairtrade-Verkäufe bekommen sie zudem einen Aufschlag für Gemeinschaftsprojekte, die sogenannte Fairtrade-Prämie. In welche Projekte das Geld fließt, ob in die Frauenförderung, Gesundheitszentren, Schulstipendien oder Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, entscheiden die Kooperativen selbst. Damit sich die Kleinbäuerinnen und ‑bauern weiterentwickeln und professionalisieren können, unterstützt sie Fairtrade mit Produzentennetzwerken vor Ort. Diese bieten Trainings zur Schädlingsbekämpfung, zu veränderten Klimabedingungen oder zu ressourcensparenden Anbaumethoden an. Auch Umweltaspekte spielen bei Fairtrade eine große Rolle: Ein Drittel aller Richtlinien beziehen sich auf ökologische Kriterien wie den Schutz der Biodiversität, ein besseres Bewässerungsmanagement oder das Verbot bestimmter Pestizide und gentechnisch manipulierten Saatgutes.
Junge Menschen achten bei der Berufswahl inzwischen zunehmend darauf, dass sie in ihrem Job sinnstiftend arbeiten können. Welche Möglichkeiten bietet Fairtrade dafür?
Die Welt Schritt für Schritt nachhaltiger und gerechter machen – das beschreibt nicht nur unsere tägliche Arbeit, sondern auch unser Ziel. Es geht darum, den Handel umzukrempeln, indem wir Verbraucherinnen und Verbrauchern, genauso wie Unternehmen Alternativen aufzeigen und klar machen, dass eine gesunde Wirtschaft nicht auf Ausbeutung Schwächerer beruht. Mithilfe unserer Kampagnen thematisieren wir die Ungerechtigkeit am Weltmarkt und zeigen, welchen Unterschied fairer Handel machen kann. Wir prangern aber nicht nur an, was schiefläuft, sondern gehen einen großen Schritt weiter: Indem wir Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten konkrete Lösungen und Handlungsalternativen anbieten, helfen wir, gängige Handelspraktiken zu überdenken und Lieferketten fair zu gestalten. Unterstützung bekommen wir dabei von vielen ehrenamtlichen Engagierten aus ganz Deutschland: von Schülerinnen und Schülern aus über 700 Fairtrade-Schulen, Studierenden der 31 Fairtrade-Unis und einer Vielzahl von Menschen in fast 700 Fairtrade-Towns.
Dieter Overath ist Vorstandsvorsitzender von Fairtrade Deutschland e.V.
Dieter Overath wurde 1954 in Köln geboren, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und einer Tätigkeit als Zeitsoldat, studierte er über den zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing. Dieses Studium schloss er als Diplom-Betriebswirt ab. Dieter Overath war Ausbilder und Dozent für kaufmännische Berufe, 20 Jahre aktiv bei amnesty international, u.a. im Vorstand, und organisierte diverse Projekte im Kulturbereich mit Schwerpunkt Lateinamerika. Außerdem übte er diverse Tätigkeiten als Freelancer im Bereich Öffentlichkeitsarbeit aus. Im Auftrag des Bundespresseamtes betreute er die Ausstellung “Lebendiger Staat”.
1992 wurde er Geschäftsführer von Fairtrade Deutschland e.V., seit 2015 ist er Vorstandsvorsitzender des Vereins. Er leitet ein Team von 72 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das Fairtrade-Siegel, das Fairtrade Deutschland vergibt, kennen mittlerweile über 80 Prozent der Bevölkerung.
Wie wichtig ist eine sinnstiftende Arbeit für Sie persönlich?
Einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen zu dürfen, ist meiner Meinung nach ein großes Privileg. Mit jeder Reise in den Ursprung kann ich mich selbst von der Wirkung unserer Arbeit überzeugen. Ich treffe Kaffeeproduzenten, für die sich der Anbau dank fester Mindestpreise wieder lohnt oder Blumenarbeiterinnen, die ihren Kindern mithilfe von Fairtrade eine Ausbildung ermöglichen können. Aber es gibt auch die andere Seite: Produzentinnen und Produzenten, die trotz harter Arbeit kaum ihre Familien ernähren können, weil sie einfach nicht genug Waren zu Fairtrade-Bedingungen verkaufen. Solche Begegnungen sind mindestens genauso wichtig. Sie machen deutlich, dass wir noch lange nicht am Ziel sind und motivieren mich, hartnäckig zu bleiben, um noch mehr Menschen von Fairtrade zu überzeugen. Abgesehen von solchen persönlichen Schicksalen finde ich es wahnsinnig spannend, zu sehen, wie viel sich in Deutschland in den vergangenen Jahren getan hat. Gemeinsam haben wir es geschafft, fairen Handel aus der Nische in die Mitte der Gesellschaft zu bringen.
Ein wichtiges Kriterium für Arbeitgeber, die für eine bessere Welt sorgen, ist für uns natürlich auch die Unternehmenskultur. Wie sieht das Arbeitsklima bei Fairtrade aus und welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit bei Ihnen intern?
Was die Arbeit im Team betrifft, haben wir ein klares Leitbild: Wir leben Fairness, Respekt und Vertrauen im Umgang miteinander. Als Verein setzen wir uns für einen Handel auf Augenhöhe mit dem globalen Süden ein. Ein solcher respektvoller und wertschätzender Umgang gilt auch für die Arbeit in unserer Kölner Geschäftsstelle, wo wir eine offene und konstruktive Atmosphäre pflegen. Neben einem Betriebsrat, der die Mitarbeitenden vertritt, haben wir Vertrauenspersonen, die bei Problemen oder Sorgen zuhören und beratend zur Seite stehen. Außerdem wird Nachhaltigkeit bei uns großgeschrieben: Von Fairtrade-Kaffee und ‑Tee für die Mitarbeitenden, einem Foodsharing-Regal, unserem selbst begrünten Innenhof, bis hin zum Jobticket – wo immer es geht, schaffen wir Anreize, für mehr Nachhaltigkeit. Als Ausgleich zum Büroalltag bieten wir zudem Yogastunden, Seminare zu Stressmanagement und Burn-out-Prävention sowie regelmäßige Gesundheitstage an.
Wenn Sie ein Szenario für eine Welt in zehn Jahren entwerfen könnten: Wie würde es aussehen? Und was müsste dafür getan werden?
In zehn Jahren ist der Schutz von Umwelt und Menschenrechten längst per Gesetz vorgeschrieben. Verbraucher konsumieren viel bewusster, Billigwahn und Preiskämpfe der Supermärkte gehören der Vergangenheit an. Der Marktanteil von fairem Kaffee liegt dank einer gezielten Steuerpolitik, die nachhaltigen Konsum fördert, nicht mehr bei fünf, sondern bei mindestens fünfzig Prozent und Kakaobauernfamilien bekommen endlich ein existenzsicherndes Einkommen. Im besten Fall ist die Welt in zehn Jahren also so weit, dass fairer Handel Normalität ist. Aktuell, nicht zuletzt durch die Corona bedingte drohende Weltwirtschaftskrise, sieht es allerdings eher danach aus, dass unsere Arbeit noch wichtiger wird. In den vergangenen Monaten wurde viel von systemrelevanten Berufen gesprochen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen erkennen, dass Menschen, die Lebensmittel wie Bananen, Reis, Kakao und Kaffee anbauen, zu dieser Gruppe dazugehören. Sie sind systemrelevant und ihre Produkte sollten entsprechend wertgeschätzt werden.