„Die Freu­de am Arbei­ten mit dem Men­schen macht die Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin aus“

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Psychosomatische Medizin

Psy­chi­sche und psy­cho­so­ma­ti­sche Stö­run­gen, wie z. B. Angst­stö­run­gen, Ess­stö­run­gen, Depres­sio­nen und funk­tio­nel­le Stö­run­gen betref­fen jähr­lich über 20% der Bevöl­ke­rung in Deutsch­land. Um den Betrof­fe­nen zu hel­fen, ent­wi­ckel­te sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten die Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und die Psy­cho­the­ra­pie. Wie die­ses medi­zi­ni­sche Fach­ge­biet arbei­tet und forscht und vor allem wel­che ange­hen­den Mediziner:innen für die­ses Fach­ge­biet geeig­net sind, berich­ten uns Frau Dr. med. Irm­gard Pfaf­fin­ger vom Berufs­ver­band der Fach­ärz­te für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie (BPM) und Herr Prof. Dr. med. Johan­nes Kru­se von der Deut­schen Gesell­schaft für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Ärzt­li­che Psy­cho­the­ra­pie (DGPM). 


Wel­ches sind die aus Ihrer Sicht wich­tigs­ten Argu­men­te dafür, Arzt oder Ärz­tin in der Psy­cho­so­ma­ti­schen Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie zu werden?

Das Fach­ge­biet Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie ist das Fach­ge­biet für „neu­gie­ri­ge Ärzt:innen“, das Fach, in dem die soma­ti­schen, die psy­chi­schen und die sozia­len Aspek­te einer Erkran­kung sys­te­ma­tisch und glei­cher­ma­ßen berück­sich­tigt und behan­delt wer­den. In der täg­li­chen Arbeit gibt es Zeit, sich mit den Patient:innen indi­vi­du­ell zu beschäf­ti­gen. Man erwirbt evi­denz­ba­siert Kom­pe­ten­zen, see­li­sche Wachs­tums- und Hei­lungs­pro­zes­se beim Pati­en­ten unmit­tel­bar zu för­dern. Es ist eine Arbeit mit hoher Berufs­zu­frie­den­heit, da sich vie­le Kolleg:innen inhalt­lich sehr mit ihr iden­ti­fi­zie­ren kön­nen.
Das Fach­ge­biet ist enorm abwechs­lungs­reich, der Facharzt/die Fach­ärz­tin bringt die soma­tisch-medi­zi­ni­sche, die psy­cho­the­ra­peu­ti­sche, die sozi­al­me­di­zi­ni­sche und die psy­cho­phar­ma­ko­lo­gi­sche Kom­pe­tenz zusammen.


Wel­che per­sön­li­chen Kom­pe­ten­zen sind in Ihrem Fach­ge­biet beson­ders wich­tig, um ein:e gute:r Arzt/Ärztin zu wer­den?
Im Beson­de­ren braucht es Empa­thie, Inter­es­se am Men­schen, Freu­de an der Begeg­nung und die Fähig­keit zuzu­hö­ren und zu kom­mu­ni­zie­ren aber auch die Fähig­keit sich abgren­zen zu kön­nen und ent­spre­chend eines Behand­lungs­plans mit dem Pati­en­ten zu arbei­ten. Der Erwerb die­ser Kom­pe­ten­zen ist auch Teil der Weiterbildung.


Wie stark ist der Bedarf an Nach­wuchs spe­zi­ell in Ihrem Bereich?
Der Bedarf an Nach­wuchs ist sehr hoch. Das ver­gleichs­wei­se jun­ge Fach­ge­biet hat sich sowohl im sta­tio­nä­ren als auch im ambu­lan­ten Bereich sehr stark ent­wi­ckelt; die Nach­fra­ge an Fachärzt:innen für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie ist daher hoch. Vie­le Kolleg:innen, die die Fach­ge­biets­be­zeich­nung nach der Grün­dung des Fach­ge­bie­tes im Jahr 1991 im Rah­men der Über­gangs­be­stim­mun­gen erhal­ten haben, been­den in den nächs­ten Jah­ren ihre Tätigkeit.


Wie kann ein:e junge:r Mediziner:in erken­nen, ob die Wei­ter­bil­dungs­be­fug­ten ihm/ihr eine gute Wei­ter­bil­dung ange­dei­hen las­sen? Wel­che Fra­gen wür­den Sie stel­len?
Wir wür­den fra­gen, wie die Wei­ter­bil­dung struk­tu­rell und inhalt­lich orga­ni­siert ist. Ins­be­son­de­re von Inter­es­se ist die Anzahl der Patienten:innen, die von Assistent:innen zu ver­sor­gen ist, die Anzahl an Oberärzten:innen, die Orga­ni­sa­ti­on der inter­nen und exter­nen Super­vi­si­on und der Bal­int­grup­pen­ar­beit, aber auch die Fra­ge, wie die Kli­nik die Ver­mitt­lung der theo­re­ti­schen Kennt­nis­se orga­ni­siert. Ist die Wei­ter­bil­dungs­stät­te an einen regio­na­len Wei­ter­bil­dungs­ver­bund angeschlossen?


Was sind aktu­el­le medi­zi­ni­sche Fort­schrit­te in die­sem Gebiet?
Die psy­cho­so­ma­ti­sche Grund­la­gen­for­schung hat in den letz­ten Jah­ren den Ein­fluss lebens­ge­schicht­li­cher und psy­cho­so­zia­ler Belas­tun­gen auf das Epi­ge­nom und die Ent­wick­lung zahl­rei­cher chro­ni­scher kör­per­li­cher und psy­chi­scher Stö­run­gen ein­drucks­voll belegt. Die hohe Wirk­sam­keit von sta­tio­nä­ren psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Behand­lun­gen konn­te gezeigt wer­den, für eine Viel­zahl umschrie­be­ner Stö­rungs­bil­der konn­ten spe­zi­fi­sche The­ra­pie-Pro­to­kol­le ent­wi­ckelt und eva­lu­iert wer­den. Im Bereich der Onko­lo­gie, der Dia­be­to­lo­gie und der Kar­dio­lo­gie sind Inter­ven­ti­ons­pro­gram­me ent­wi­ckelt und in die kli­ni­sche Umset­zung gebracht wor­den. Im Bereich der For­schung mag auch der Ein­satz von KI (Künst­li­cher Intel­li­genz) hilf­reich sein.


Kann man in die­sem Fach­be­reich auch in Teil­zeit arbei­ten?
Teil­zeit­mo­del­le sind sehr gut mög­lich und weit ver­brei­tet. Es gibt kaum anstren­gen­de Nacht­diens­te.
Ein gro­ßer Vor­teil gera­de der Fach­ärz­te im nie­der­ge­las­se­nen Bereich ist die freie Zeit­ein­tei­lung, die gera­de für jun­ge Müt­ter und Väter sehr wich­tig ist.


Wie schät­zen Sie die Mög­lich­kei­ten ein, sich selbst­stän­dig zu machen oder eine Pra­xis zu grün­den oder zu über­neh­men?
Es bestehen der­zeit sehr gute Mög­lich­kei­ten sich als Facharzt/Fachärztin für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie nie­der­zu­las­sen. Auf­grund der Unter­ver­sor­gung in vie­len Gebie­ten muss oft noch nicht ein­mal eine Pra­xis abge­löst wer­den. Ent­spre­chend der der­zeit gül­ti­gen Bedarfs­pla­nungs­richt­li­nie müs­sen 12,5 Pro­zent aller „Psy­cho­the­ra­peu­ten-Sit­ze“ an Fach­ärz­te für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie ver­ge­ben wer­den. Aber auch in Bal­lungs­räu­men ist es nicht schwie­rig sich niederzulassen.


Wie ist die Situa­ti­on in Kran­ken­häu­sern für Ihren Fach­be­reich zur­zeit (im Sin­ne von Bedarf, Arbeits­be­las­tung etc.)?
Die Anzahl der Kran­ken­haus­bet­ten und Abtei­lun­gen im Fach­ge­biet ist in den ver­gan­ge­nen Jah­ren deut­lich gewach­sen. In Fach-Kran­ken­häu­sern und in den psy­cho­so­ma­ti­schen Fach­ab­tei­lun­gen arbei­ten mul­ti­pro­fes­sio­nel­le Teams eng zusam­men, was typi­scher­wei­se eine hohe Arbeits­zu­frie­den­heit und ein inter­es­san­tes Arbeits­um­feld ent­ste­hen lässt. Natür­lich vari­iert die Arbeits­be­las­tung je nach kon­kre­tem Arbeits­ort: In einer Psy­cho­so­ma­ti­schen Insti­tuts­am­bu­lanz stellt es sich anders dar als im Kon­si­li­ar-/Li­ai­son­dienst, und hier wie­der­um anders als in sta­tio­nä­rer oder teil­sta­tio­nä­rer Arbeit. Ins­ge­samt ist die Arbeits­be­las­tung aber nicht höher als in ande­ren kon­ser­va­ti­ven medi­zi­ni­schen Fächern – im Gegen­satz zu die­sen ist jedoch die Zeit, die mit PC-Arbeit ver­bracht wer­den muss, eher geringer.


Wel­che ver­schie­de­nen Spe­zia­li­sie­run­gen inner­halb Ihres Fach­ge­bie­tes hal­ten Sie für beson­ders inter­es­sant?
Auf­grund sei­ner umfas­sen­den Wei­ter­bil­dung erlangt der Facharzt/die Fach­ärz­tin vie­le ver­schie­de­ne Kom­pe­ten­zen, die er/sie indi­vi­du­ell im Rah­men einer Schwer­punkt­set­zung wei­ter­ver­fol­gen kann. Die Fach­ge­sell­schaft bie­tet dar­über hin­aus cur­ri­cu­la­re ver­tie­fen­de Fort­bil­dun­gen unter ande­rem in der Psy­cho­on­ko­lo­gie, der Psy­cho­trau­ma­to­lo­gie, der psy­cho­so­ma­ti­schen Gut­ach­ter­tä­tig­keit, der Psy­cho­so­ma­tik des Kin­des- und Jugend­al­ters und im Bereich der Sexu­al­me­di­zin an. Ein wei­te­rer Schwer­punkt könn­te auch die Grup­pen­psy­cho­the­ra­pie sein, die zukünf­tig noch eine grö­ße­re Rol­le spie­len wird. Die Kom­bi­na­ti­on von ambu­lan­ter und sta­tio­nä­rer Tätig­keit ist in unse­rem Fach­ge­biet sehr leicht möglich.


Was sind momen­tan viel dis­ku­tier­te medi­zi­ni­sche The­men in Ihrem Fach­ge­biet?
Gera­de die The­men Grup­pen­the­ra­pie, psy­cho­so­ma­tisch-medi­zi­ni­sche Behand­lung von kör­per­lich Kran­ken, Kurz­zeit­psy­cho­the­ra­pie, Behand­lung von psy­chi­schen Trau­ma­ti­sie­run­gen und deren Fol­gen, Inte­gra­ti­on von ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen, psy­cho­dy­na­mi­schen und sys­te­mi­schen Psy­cho­the­ra­pien sowie Behand­lung von Ess­stö­run­gen, chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen, psy­cho­so­ma­ti­sche Fol­ge­er­kran­kun­gen von Dia­be­tes und von koro­na­rer Herz­krank­heit wer­den der­zeit unter ande­rem diskutiert.


Was sind die gän­gi­gen Vor­ur­tei­le gegen­über Ihrem Fach­ge­biet, die Sie ger­ne ein­mal kor­ri­gie­ren wür­den?
Es wird zu Unrecht ver­mu­tet, dass es mit Ein­füh­rung des Direkt­stu­di­en­gangs Psy­cho­the­ra­pie in Zukunft nur noch Psy­cho­the­ra­peu­ten und kei­ne Fach­ärz­te für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie mehr gäbe. Es wird gera­de die Dop­pel­kom­pe­tenz in der somatischen/psychosomatischen Medi­zin und in der Psy­cho­the­ra­pie für eine opti­ma­le Pati­en­ten­ver­sor­gung drin­gend benö­tigt. Hier lie­gen die Zukunfts­chan­cen, da die hoch tech­no­lo­gi­sier­te Medi­zin in der Ver­sor­gung eine Inte­gra­ti­on der psy­cho­so­ma­ti­schen Aspek­te drin­gend benö­tigt und die Pati­en­ten dies auch ein­for­dern. Das hat zu einem star­ken Wachs­tum des Fach­ge­bie­tes in den letz­ten 10 Jah­ren geführt.


Wel­che Nach­wuchs­för­de­run­gen bie­ten Sie und Ihre Gesell­schaft an? Gibt es Men­to­ring-Pro­gram­me, die den Nach­wuchs gezielt unter­stüt­zen?
In Zusam­men­ar­beit mit dem Jun­gen Forum der Fach­ge­sell­schaft DGPM grei­fen wir auf unse­ren Tagun­gen immer wie­der The­men der Weiterbildungsassistent:innen auf. Momen­tan liegt ein Schwer­punkt dar­in, unse­re Weiterbilder:innen auch im ambu­lan­ten Bereich zu moti­vie­ren, sich der her­aus­for­dern­den aber auch sehr befrie­di­gen­den Wei­ter­bil­dung jun­ger Kolleg:innen zu stel­len. Wir arbei­ten dar­an, dass alle Kas­sen­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen geför­der­te Wei­ter­bil­dungs­plät­ze auch in unse­rem Fach­ge­biet ausschreiben.


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Dr. med. Irm­gard Pfaf­fin­ger ist nie­der­ge­las­se­ne Fach­ärz­tin für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie – Psy­cho­ana­ly­se sowie die Vor­sit­zen­de des Berufs­ver­bands der Fach­ärz­te für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie (BPM) e.V.

 

Prof. Dr. med. Johan­nes Kru­se ist eben­falls Fach­arzt für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Psy­cho­the­ra­pie und Ärzt­li­cher Direk­tor der Kli­nik für Psy­cho­so­ma­tik und Psy­cho­the­ra­pie an der Uni­ver­si­tät Gie­ßen. Dar­über hin­aus ist er der Vor­sit­zen­de der Deut­schen Gesell­schaft für Psy­cho­so­ma­ti­sche Medi­zin und Ärzt­li­che Psy­cho­the­ra­pie (DGPM) e.V.

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