Ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander ist für einen Wandel in unserer Gesellschaft von großer Bedeutung. Ein aktuelles Beispiel sind die Fridays-for-future Demonstrationen. Ein Mensch alleine hätte nicht gereicht auf die Missstände aufmerksam zu machen – eine hohe Anzahl an erhobenen Stimmen hat es gebraucht, damit die Gesellschaft endlich die Augen öffnet. Und genau so ein Miteinander verfolgt die Non-Profit Organisation Ashoka in ihrer Arbeit und ihrer Unternehmenskultur. Julia Reiche, Partnerin von Ashoka Deutschland erklärt uns wie wichtig Nachhaltigkeit in der heutigen Zeit ist und wie uns das Unternehmen für uns alle einen konkreten Nutzen stiftet.
Welche Verantwortung für das Gemeinwohl tragen Unternehmen heute?
Wir sind in einer Zeit angekommen, in der Unternehmen sich nicht (mehr) leisten können, keine Verantwortung für das Gemeinwohl zu übernehmen – dazu sind unsere gesellschaftlichen Herausforderungen zu groß. Jetzt kann man diskutieren, zu welchem Maß. Und meine Ansicht ist, dass es nicht mehr reicht, sich auf die Sicherung von Arbeitsplätzen und die faire Entlohnung von Arbeitnehmer:innen zu berufen. Da gehört schon mehr dazu: Zu verstehen, welche Auswirkungen das eigene Handeln auf die Welt hat und zu versuchen, die negativen davon (zum Beispiel auf Klima, Gesundheit der Mitarbeiter:innen, et cetera) möglichst zu minimieren. Und dann Verantwortung nicht als Checkliste zu verstehen, die man abarbeiten muss, sondern den unternehmerischen Gestaltungsspielraum zu nutzen, den man hat, und proaktiv positive Veränderungen voranzutreiben. Ich bin überzeugt: Unternehmen, die das heute verstehen, haben längerfristig bessere Überlebenschancen.
Welche Bedeutung hat nachhaltiges Wirtschaften für Ihr Haus heute und welchen Weg sind Sie dafür gegangen?
Ashoka bedeutet im indischen Sanskrit frei übersetzt das Überwinden von Missständen. Und darum geht es uns: Weltweit Menschen zu finden, die sich trauen neue Wege zu gehen, um gesellschaftliche Probleme zu überwinden oder nicht erst entstehen zu lassen. Den unternehmerischen Geist in den Dienst davon stellen, positive gesellschaftliche Wirkung zu entfalten in Richtung einer Gesellschaft, die nachhaltig ist und in der immer mehr Menschen selbst ihre Potenziale als sogenannte Changemaker entfalten können. In diesem Sinn für das Gemeinwohl zu handeln, ist also in unserer DNA angelegt.
Und dann schauen wir natürlich auf unsere Organisation und was nachhaltiges Wirtschaften in allen Dimensionen unternehmerischer Führung bedeutet. Und wie viele andere auch sind wir hier auf dem Weg, einem guten, wie wir finden. Wir reduzieren Flugreisen, wo möglich, wir drucken klimaneutral und fangen an, unsere Veranstaltungen klimaneutral zu gestalten. Aber natürlich haben wir auch noch viel zu tun, zum Beispiel setzen wir uns aktiv damit auseinander, wie wir Diversität noch besser fördern können.
Als Organisation haben wir unsere Führungskultur so entwickelt, dass wir partnerschaftlich und in gemeinsamer Verantwortung agieren, ohne klassische Hierarchie. Wir tun dies aus der Überzeugung heraus, dass es für Personalentwicklung, unser Miteinander und auch unsere Wirksamkeit für die Gesellschaft hinein ein nachhaltiger Weg ist. Empathie und Achtsamkeit, so sehr sie vielleicht gerade zu Buzzwords werden, sind aus unserer Sicht wichtige Grundsätze für nachhaltiges Wirtschaften.
Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen in der Schweiz begann Julia Reiche ihre Karriere im Jahr 2000 bei McKinsey & Company in München. Als Associate Partner betreute sie Kunden in Europa und wurde zu einer Expertin im Bankwesen. Im Jahr 2009 wechselte Julia Reiche zu Hengeler Mueller, einer führenden Partnerschaft von Wirtschaftsanwälten in Deutschland, wo sie ihrer Leidenschaft für People Leadership und Intrapreneurship nachgehen und ein innovatives Rekrutierungs- und Weiterbildungsprogramm (mit-)gestalten konnte. Als engagierte Mutter von zwei Kindern entschied sich Julia aktiv für eine berufliche Auszeit in den Jahren 2010 und 2011. Ihre (und andere) Kinder dabei zu unterstützen, sich die relevanten Kompetenzen anzueignen, die sie brauchen, um im 21. Jahrhundert Veränderungen herbeizuführen und erfolgreich zu sein, bleibt ihr zentrales Engagement auch nach ihrer Wiederaufnahme der Arbeit im Jahr 2012, als sie mit Stakeholder Reporting in Hamburg einen strategischen CSR-Beratungsdienst aufbaute. Julias starker Wunsch, zu positiven Veränderungen in unserer Gesellschaft beizutragen, führte sie 2015 zu Ashoka nach Deutschland. Als Partnerin von Ashoka Deutschland übernimmt Julia die Verantwortung für die Weiterentwicklung des Ashoka Support-Netzwerks, für wichtige Unternehmenspartnerschaften und als Culture Keeper in unserer neuen “everybody leads”-Teamkultur.
Was empfinden Sie persönlich, wie gut wir unterwegs sind zu einer Welt, die behutsamer mit dem Leben und den Ressourcen auf dem Planeten umgeht?
Die Frage ist nicht leicht eindeutig zu beantworten, auch, weil so vieles in unseren komplexen gesellschaftlichen Systemen in Bewegung ist – und durch Covid-19 gerade noch einmal auf den Kopf gestellt wird. Vielleicht so viel: Ich sehe viele Bewegungen, die meine optimistische Natur nähren. Ich sehe Unternehmen, in denen die Führung ernsthaft versteht, dass Nachhaltigkeit keine Alternative hat – und entsprechend (um)lenkt. Ich sehe Investoren:innen, die neue Maßstäbe setzen und ich sehe Arbeitnehmer:innen und Gründer:innen, für die eine Arbeit ohne Beitrag zu positivem gesellschaftlichen Wandel nicht mehr in Frage kommt. Gleichzeitig geht vieles auch zu langsam und immer noch sehen wir starke Kräfte, die an altem festhalten. Und da würde ich im Sinne der Vision von Ashoka – „Everyone a Changemaker“ – aufrufen wollen: Eine lebenswerte Zukunft in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit schaffen wir nur gemeinsam, daran kann jede*r mitwirken.
Können Sie den Lesern konkrete Beispiele dafür nennen, wie ihr Produkt oder ihre Dienstleistung die Welt ein Stückchen besser macht?
Wir sind Innovationsscout und Begleiterin, Inkubator und Ermöglicherin. Immer geht es uns darum, neue, wirkungsvolle Lösungswege für gesellschaftliche Herausforderungen zu identifizieren und die Menschen hinter ihnen sichtbar zu machen, zu fördern, die Lösungen zu stärken und möglichst im Zusammenspiel mit vielen Partner:innen zu verbreiten. In diesem Sinne haben wir kein klassisches Produkt oder eine klassische Dienstleistung zu bieten, doch wir verstehen uns im besten Sinne als Zulieferer von gesellschaftlicher Innovation. Wir stehen dafür ein, dass wir als Gesellschaft unseren Innovationsbegriff weiten, die Rahmenbedingungen für die Verbreitung sozialer Innovationen verbessern und das Potenzial von Bürger:innen entfalten, selbst gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten.
Gibt es Dinge, die Sie in der Pipeline haben und die zukünftig einen wertvollen ökologischen, technologischen oder gesellschaftlichen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit und Allgemeinwohl leisten können?
Seit 40 Jahren sind wir Innovationsscout, in mittlerweile über 90 Ländern – natürlich sehen wir da Trends und Entwicklungen, die wir auch frühzeitig aufzugreifen versuchen. Gerade arbeiten wir in einem Projekt namens „Next Now“ an vier Themenfeldern, die uns global als zentral erscheinen: „Gender“, „Ageing“, „Tech & Humanity“ und „Climate“. Hier zu verstehen, welche strukturellen Herausforderungen wir als Gesellschaft haben und wie Social Entrepreneurs Innovationsimpulse geben können, ist unser Ziel.
Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass unsere zunehmende Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und denen, die sie beim Aufwachsen begleiten, wichtig ist: Nur, wenn wir miteinander früh die Erfahrung vermitteln, dass die Welt einem nicht passiert, sondern man sie auch mitgestalten kann, werden wir immer mehr engagierte Menschen sehen, die einen Beitrag leisten.
Welche Vision von Zukunft können Sie für Hochschulabsolventen entwerfen, die Sie bei Ihrer Mission begleiten möchten?
Ich möchte sagen: Weiter so, ihr stellt die richtigen Fragen. Denn nur so bewegen sich Dinge. Wir möchten als Unternehmen zeigen, wie man als Mensch in seiner Ganzheit auch im Job präsent sein und gestalten kann. Denn wir sind überzeugt, dass wir nur dann die innere Motivation unserer Mitarbeiter:innen ansprechen und aktivieren können, wenn diese auch im Unternehmen Raum hat. An die Stelle starrer Hierarchie und Leistungsindikatoren tritt mehr Eigenverantwortung und geteilte Verantwortung für das Unternehmen: Wo will ich und wo wollen wir hin, was soll unser gemeinsamer Standard sein? Wer möchte was noch lernen, ausprobieren, weiterentwickeln? Für welche Veränderungen setzen wir uns ein?
Dieser Ansatz von „New work“ ist – leider noch – ein nicht sehr weit verbreiteter Ansatz. Vielleicht ist er auch nicht in jedem Setting umsetzbar, aber die grundsätzliche Haltung ist es meines Erachtens schon. Und mit Blick auf Arbeitsplatzgestaltung ist das definitiv eine Vision, die ich zeichnen möchte.
Was genau macht Ashoka? Key Facts zur Organisation aus dem Social Entrepreneurship:
* Suche und Auswahl herausragender Social Entrepreneurs
* Förderung von Social Entrepreneurs in unserem Fellowship-Programm
* Aufbau einer diversen Community, die soziale Innovationen fördert und ermöglicht
* Abbau von Hürden für die Verbreitung sozialer Innovationen
* Unser Ziel: Immer mehr Menschen als Changemaker zu motivieren
Die Organisation beschäftigt 24 Mitarbeiter:innen in Deutschland an den Standorten Berlin, Hamburg sowie München und insgesamt 650 weltweit.
Wie wichtig ist es für Sie persönlich, dass Arbeit sinnstiftend sein muss?
Wenn Sie mich persönlich fragen, merke ich, dass ich unmittelbar die Perspektive einer Mutter einnehme. Aus zwei simplen Gründen: Jede Stunde im Büro oder in Meetings, vor allem nachmittags, bedeutet unweigerlich weniger Zeit für meine Kinder. Allein aus diesem Grund, ist mir die Sinnhaftigkeit dessen, was ich bei der Arbeit mache, unendlich viel wert. Gleichzeitig führt mir das tägliche Zusammensein mit Kindern meine persönliche und unsere kollektive Verantwortung für das, was wir als Generation unseren Nachfahren hinterlassen, vor Augen.
Ashoka Deutschland bietet mir die perfekte Plattform für sinnvolles Handeln. Hier finde ich Inspiration in einer Community von Social Innovators, Empowerment in einem Team von Gleichgesinnten und die Freiheit, unternehmerisch unsere Visionen und Ideen von einer besseren Zukunft zu entwickeln und umzusetzen.
Wie geht man in Ihrem Unternehmen miteinander um?
Welche Unternehmenskultur man miteinander schafft, bestimmt die Seele eines Unternehmens und ist ein zentrales Steuerungstool aus meiner Sicht. Auch in den vorherigen Fragen bin ich darauf schon eingegangen, einfach weil wir sehen, wie stark der Effekt ist. Schaffe ich es, die innere Motivation meiner Mitarbeiter:innen anzusprechen und ihr Raum zu geben? Motiviere ich über Entwicklungswünsche? Entfalte ich das Verantwortungsgefühl für eine gemeinsame Aufgabe? Das sind Fragen, die sich jede Führungskraft stellen sollte – und auch jede:r, der/die in einem Unternehmen anfangen möchte.
Wie sollte die Welt in 10 Jahren aussehen und was sind die größten Herausforderungen auf diesem Weg?
In zehn Jahren haben wir hoffentlich die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen erreicht, die SDG 2030. Bis dahin haben wir noch viel zu tun, das bedarf einer gemeinsamen Kraftanstrengung. Mit Blick auf Deutschland arbeiten wir mit daran, dass wir als „Land der Ideen“ es auch schaffen, sozialen Innovationen die notwendige Anerkennung und Raum für ihre Entwicklung und Entfaltung zu geben. Die Infrastruktur und Förderung, die wir für technologische Innovationen sehen, brauchen wir mindestens auch, um unser soziales Miteinander zu modernisieren und unsere Sozialsysteme zukunftsfähig aufzustellen.